In mehreren Blogartikeln werde ich nun das Thema Arbeit und Gesundheit aus der Perspektive einiger religiöser Traditionen dieser Welt beleuchten, zuerst aus der Perspektive der jüdisch-christlichen Tradition. Es geht dabei um das Thema Sinn der Arbeit, aber auch um konkrete Hinweise zur Strukturierung und Gestaltung des Arbeitsalltags sowie um das Verhältnis der Arbeit zu anderen Lebensbereichen und zur sozialen und natürlichen Umwelt. Der Hintergrund dieser Reihe ist, dass mir in meinem Studium der Religionswissenschaft sowie in meiner Arbeit im Bereich Gesundheitsförderung immer klarer geworden ist, dass religiöse Traditionen oft auch wertvolle Impulse vermitteln für die Gestaltung eines gesunden Arbeitslebens.
Die Ruhe am siebten Tag: das Arbeitsleben zeitlich gestalten mit dem Sabbathsprinzip
In der christlichen Theologie verdient das Thema Arbeit, so der Theologe und Pädagoge Friedrich Kiss, aus folgenden Gründen einen zentralen Platz: ‚Die Arbeit hat ihren Ort in der Mitte des menschlichen Lebens und an seinen Rändern. Wo Menschen sind, sind sie umgeben von dem umfassenden Arbeitsprozeß, der die Geschichte ihrer Gattung begleitet, besser: der die Geschichte ihrer Gattung trägt. Auch wo sie selbst nicht arbeiten, auch im Schlafe, im Urlaub, auf dem Krankenbett, beim Frühschoppen sind sie eingeschlossen von der Geschichte der menschlichen Arbeit. Die Strukturen der menschlichen Gesellschaft wie der menschlichen Psyche sind entscheidend durch Arbeitsverhältnisse und Arbeitsergebnisse in ihren aktuellen und überdauernden Mustern bestimmt‘ (Kiss 1983:15).
Ein ganz konkreter, vielen Menschen eigentlich sehr vertrauter Impuls zur Strukturierung des Arbeitsalltags ist das jüdische Sabbathsprinzip, das beinhaltet, das jede Tätigkeit auch immer wieder Phasen der Ruhe braucht. Im Christentum manifestiert dieses Prinzip sich in der Sonntagsruhe, für die sich die Evangelische Kirche Deutschland oder auch die European Sunday Alliance aktiv einsetzt (siehe Video). Ein typische Anregung zu diesem Thema in einem Coaching oder Seminar wäre: Was bedeutet mir das Sabbathsprinzip und wie könnte ich es – auch unabhängig von meiner religiösen Überzeugung – in meinem Privat- und Berufsleben einsetzen, um meine Gesundheit zu fördern?
Sinn der Arbeit: Was die biblischen Schöpfungsgeschichten dazu sagen
Das Bibelbuch Genesis versucht nicht nur zu erklären, wie die Welt entstanden ist, sondern auch, warum Menschen auf Erde arbeiten müssen. Der Theologe Ansgar Kreutzer sieht in ‚Arbeit ist das halbe Leben – Zum Verhältnis von Arbeit und Lebenswelt‘ in den Schöpfungsmythen der Bibel eine sehr ambivalente Wertung der Arbeit. In beiden Schöpfungsberichten bekommen die Menschen von Gott eine herausragende Rolle über alle irdischen Lebewesen zugeteilt: ‚Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde und macht sie euch untertan‘ (Genesis 1,28). Die Aufgabe, über die Erde zu ‚herrschen‘ (oder auch sie zu ‚behüten‘) und die damit verbundene Autonomie machen laut Kreutzer teils auch die Würde der Menschen aus. Sie bleiben ihrem Schöpfergott aber Verantwortung schuldig. Die dunkle, mühselige Seite der Arbeit macht sich dann bemerkbar, wenn Eva vom Baum der Erkenntnis isst, und damit die Bürde harter Arbeit über die Menschen abruft: Von nun an muss er ‚im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen‘ (Gen 3,19). Damit ist das ambivalente Verhältnis der Menschen zu ihrer Arbeit erst einmal erklärlich: ‚Arbeit ist so im biblischen Gesamtkontext und seiner theologischen Ausdeutung Mühsal und würdevoller Auftrag zugleich‘ (Kreutzer 2001).
Anselm Grün und Friedrich Assländer formulieren in ‚Spirituell arbeiten. Dem Beruf neuen Sinn geben‘ folgendes Verständnis von Arbeit: ‚Arbeit dient der individuellen wie kollektiven Existenzsicherung des Menschen und ist gleichzeitig Daseinsgestaltung. Durch Arbeit verändert und gestaltet der Mensch die Natur, die Gesellschaft, sich selbst sowie das eigene und kollektive Bewusstsein. Ein spirituelles Verständnis von Arbeit sieht jedes bewusste, körperliche, geistige oder seelisch-emotionale Tun des Menschen als schöpferischen und zielgerichteten Prozess, in dem wir unser Menschsein verwirklichen‘ (Grün u. Assländer 2010:12). In diesem Arbeitsverständnis spiegelt sich die Auffassung von Arbeit als ein transzendentes Geschehen, in dem über den Broterwerb hinaus Einfluss auf die Umwelt genommen wird und Arbeit zugleich eine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, zur Arbeit an sich selbst beinhaltet. Diese Auffassung fusst, so Assländer und Grün, in einer Theologie der Arbeit, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom französischen Theologen M. D. Chenu entwickelt und anschließend vom II. Vatikanischen Konzil übernommen wurde, und die Grün eine ‚Philosophie der irdischen Wirklichkeit‘ nennt (Grün u. Assländer 2010). Arbeit sei die ‚Ursprungssituation des Menschen‘, so Grün, und bewirke die ‚Vervollkommnung der Welt‘.
Die alltägliche Arbeit als Dienst an Gott und am Nächsten Das II. Vatikanische Konzil versteht die beiden biblischen Schöpfungsberichte in der Enzyklika Gaudium et Spes (Kapitel 3: ‚Das menschliche Schaffen in der Welt‘) folgendermaßen: ‚Der nach Gottes Bild geschaffene Mensch hat ja den Auftrag erhalten, sich die Erde mit allem, was zu ihr gehört, zu unterwerfen, die Welt in Gerechtigkeit und Heiligkeit zu regieren und durch die Anerkennung Gottes als des Schöpfers aller Dinge sich selbst und die Gesamtheit der Wirklichkeit auf Gott hinzuordnen, so daß alles dem Menschen unterworfen und Gottes Name wunderbar sei auf der ganzen Erde (Nr. 34). Bezogen auf die Arbeit im Alltag heißt dies nach der Enzyiklika: ‚Das gilt auch für das gewöhnliche alltägliche Tun; denn Männer und Frauen, die, etwa beim Erwerb des Lebensunterhalts für sich und ihre Familie, ihre Tätigkeit so ausüben, daß sie ein entsprechender Dienst für die Gemeinschaft ist, dürfen überzeugt sein, daß sie durch ihre Arbeit das Werk des Schöpfers weiterentwickeln, daß sie für die Wohlfahrt ihrer Brüder sorgen und durch ihre persönliche Bemühung zur geschichtlichen Erfüllung des göttlichen Plans beitragen.‘ Arbeit ist in der christlichen Theologie also eine besondere Aufgabe der Menschen, die sie in Beziehung zu Gott bringt und dieser Beziehung auch gerecht werden sollte. Dazu gehören nach dem ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland Wolfgang Huber nicht nur Erwerbsarbeit, sondern auch erzieherische und ehrenamtliche Aufgaben: ‚Nur in einem so erweiterten Arbeitsverständnis bleibt eine Aussage richtig, die sich in gleicher Weise bei Martin Luther und bei Papst Johannes Paul II. findet und die deshalb vielleicht als Ausgangspunkt für ein ökumenisches Arbeitsverständnis dienen kann: “Die Arbeit gehört zum Menschen wie zum Vogel das Fliegen.‘ (Wittenberger Sonntagsvorlesung 2007) Weiterlesen: Arbeit & Gesundheit: Impulse aus der jüdisch-christlichen Tradition (2) – Mit Verbindlichkeit (aber in Freiheit) arbeiten an der werdenden Erde