Resilienz – Gelassen und stark im Fluss des Lebens (1)

Resilienz ist die Fähigkeit, widrige Lebensbedingungen oder Krisen zu bewältigen und adäquat mit Belastungen und Veränderungen umzugehen. In diesem Blogartikel möchte ich das Zusammenspiel von Eigenschaften beleuchten, die förderlich sind für persönliche Resilienz: Akzeptanz, Optimismus, Verantwortung, Selbstwirksamkeit, Lösungsorientierung,, Netzwerkorientierung und Sinnorientierung. Diese Eigenschaften sind einzeln wirksam, bilden aber auch einen Komplex von schützenden Faktoren, die sich gegenseitig verstärken und aufeinander einwirken. Resilienz ist eine Form der Gesundheitskompetenz, die es uns ermöglicht, unser Leben so zu leben, wie es kommt.

7 Aspekte von Resilienz

Was Resilienz konkret ist, zeigt sich besonders beeindruckend in den Lebensgeschichten mancher Menschen. Ein Beispiel ist der Wiener Psychologe und Begründer der Logotherapie Viktor Frankl. Für Frankl war die Art des Umgangs mit und die Bewältigung von Krisen und Leiderfahrungen selbst ein Lebenssinn. In seinem Werk ‚Ärztliche Seelsorge‘ schreibt er: „Das Leiden, die Not gehört zum Leben dazu, wie das Schicksal und der Tod. Sie alle lassen sich vom Leben nicht abtrennen, ohne dessen Sinn nachgerade zu zerstören. Not und Tod, das Schicksal und das Leiden vom Leben abzulösen, hieße dem Leben die Gestalt, die Form nehmen. Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt.“

Manchmal sind auch nahe Mitmenschen in unserem eigenen Leben gute Beispiele einer resilienten Lebensführung. Und auf unserem eigenen Lebensweg finden wir ebenfalls Beispiele, wie wir selbst gut mit Krisen und belastenden Erfahrungen umgegangen sind. Resilienz ist keine erlernte Technik, sondern ein Potential das jedem Lebewesen innewohnt. Es ist sogar ein wesentliches Lebensprinzip, Krisen und Veränderungen zü bewältigen und sich neu im Leben ein- und aufzustellen. Wenn man sich die Entstehung und Werdegang von Leben in all seinen verschiedenen Daseinsformen betrachtet, wird einem bewusst, wie das ganze Universum von diesem Prinzip durchdrungen ist. Im Folgenden möchte ich nun die einzelnen Resilienz-Faktoren in den Fokus nehmen.

Akzeptanz: Annehmen, wie die Dinge sind und wie das Leben sich entfaltet

Akzeptanz ist eine Haltung, sich nicht gegen Veränderungen und Krisen zu wehren, sondern diese als Chance zu empfinden, was gut in dem griechischen Wort Kairos zum Ausdruck kommt. Dazu ist es wichtig, erstmal die leidvolle Erfahrung bewusst und achtsam wahrzunehmen. Akzeptanz entsteht nicht immer leicht und von alleine, sondern manchmal erst nach einem langen Verarbeitungsprozess. Am Ende dieses Prozesses sind Menschen sozusagen in der Lage, ‚Let it be‘ oder ‚Dein Wille Geschehe‘ zu sagen. Akzeptanz heißt hier nach Aristoteles, dass wir den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen können.

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Arbeit & Gesundheit: Impulse aus der jüdisch-christlichen Tradition (2) – Mit Verbindlichkeit (aber in Freiheit) arbeiten an der werdenden Erde

Anselm Grün fasst die Beziehungsseite unserer Arbeit anhand von Genesis 12, 2 so auf, dass Menschen füreinander zum Segen sein sollten: ‚Wir sind in diese Welt gesandt, um einen Auftrag zu erfüllen. Der ursprüngliche Auftrag, den Gott Adam und Eva gab, lautete: ‚Seid fruchtbar!‘ (Gen 1,28). Das meint nicht nur, dass sie Kinder bekommen sollen, sondern auch, dass ihr Leben Frucht bringt für die Erde und für die Menschheit‘. Es ist aber, so Grün, nicht nur unser Tun, unsere Leistung und unser Nutzen, die uns zum Segen für andere werden lassen. Manchmal ist es einfach unsere Art zu arbeiten, die der Arbeit unabhängig von inhaltlicher Befriedigung oder Ergebnissen einen Sinn gibt (Grün 2005 II:156). Eine achtsame, wertschätzende und freundliche Kommunikationskultur in Teams und Organisationen gibt Menschen ein Gefühl der Kohärenz und macht unseren Arbeitsalltag tatsächlich nachweislich nicht nur effektiver und erfolgreicher, sondern auch sinnhafter, wie aus folgendem Blogartikel hervorgeht.

Arbeit ist immer auch Beziehungsarbeit (Bild: Wikimedia Commons
Arbeit ist immer auch Beziehungsarbeit – hier in einer Co-Working Space in Berlin (Bild: Wikimedia Commons

Dorothee Sölle: Arbeit in Resonanz mit sich, mit anderen und mit der Schöpfung Die evangelische Theologin Dorothee Sölle unterscheidet im 1983 erschienenen Band ‚Mitarbeiter der Schöpfung; Bibel und Arbeitswelt‘ drei Dimensionen von Arbeit, die eine Art von Resonanz andeuten, wie auch der Neurobiologe Joachim Bauer sie beschreibt:

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Arbeit als Selbstausdruck des Menschen: Der Mensch ist demnach ein schöpferisches Wesen, das sich selbst durch seine Arbeit zu erkennen gibt: ‚Das kann natürlich nur dort gelingen, wo möglichst alle unsere Fähigkeiten und Kräfte am schöpferischen Prozess beteiligt sind, wo wir uns also selber lernend entwickeln…‘.
  • Arbeit als soziale Beziehung: Sölle betrachtet Arbeit, ähnlich wie Anselm Grün, auch als die Art und Weise, wie die Menschen miteinander verbunden sind und Gemeinschaft schaffen. Durch unsere Arbeit bekommen wir das Gefühl, gebraucht zu werden, was ’nach den primären Bedürfnissen, die auf Nahrung, Unterkunft, Wärme und Sexualität gehen, ein zentrales menschliches Bedürfnis‘ ist (siehe auch Maslowsche Bedürfnispyramide).
  • Arbeit als Versöhnung mit der Natur und Fortsetzung der Schöpfung Gottes, nicht ihre Unterwerfung: ‚Alle produktive, an den Bedürfnissen der Menschen orientierte Arbeit hat diesen Charakter der Versöhnung zwischen Mensch und Natur, der weitergehenden Schöpfung einer noch nicht zu Ende gekommenen Erde. Der Arbeiter ist in diesem Zusammenhang verstanden als eine Art Haushälter Gottes, dem die Erde, die Tiere, die Mineralien und Bodenschätze, die Pflanzen und anderen Lebewesen anvertraut sind‘ (Sölle 1983).
Befreiung des Volkes Israel aus der Sklaverei – Der Zug durch das rote Meer – Nicolas Poussin

Befreiung von Existenzängsten und überzogenen beruflichen (Selbst-)ansprüchen Die ebenfalls evangelische Theologin Luise Schrottroff schildert in ihrem 1983 erschienenen Aufsatz ‚Das geschundene Volk und die Arbeit in der Ernte Gottes nach dem Matthäusevangelium‘ eine Auslegungstradition, die versucht, das Neue Testament im Sinne einer christlichen Arbeitslehre auszuwerten. Dabei ist vor allem Matthäus 6,25-34 (‚Sorge Dich nicht‘) eine wichtige Inspirationsquelle (Schrottroff 1983). Der Text könnte meines Erachtens als Einladung verstanden werden, den Lebensbereich der Arbeit nicht zu viel Raum zu geben und nicht sorgenvoll, sondern eher vertrauensvoll anzugehen. Existenzängste sind in der heutigen Arbeitsgesellschaft durchaus verständlich, dennoch können sie Menschen manchmal auch lähmen. In einem Coaching oder Seminar könnte hier die Besinnung auf wirklich wichtige persönliche Werte hilfreich sein. Bei der Entwicklung eines gesunden persönlichen Wertesystems können Werte aus der christlichen (oder einer anderen religiösen oder humanistischen Tradition) Menschen gerade in Krisensituationen inspirieren. Erzählungen über menschliche Erfahrungen von Leid und Hoffnung – auch im Lebensbereich der Arbeit – ziehen sich wie ein roter Faden durch die Bücher des Alten und Neuen Testaments. Im Alten Testament und in der jüdischen Tradition besonders bedeutsam ist es die Erfahrung eines versklavten, leidenden Volkes das auf eine bessere Zukunft hofft. Und im Matthäusevangelium im Neuen Testament befinden sich die arbeitenden Menschen überwiegend in abhängigen Verhältnissen, zum Beispiel als Sklaven, Tagelöhner oder Pächter. Es sind diese leidvollen Erfahrungen, die in der christlichen Tradition häufig dazu inspirieren, an einer gerechteren, besseren (Arbeits-)welt zu arbeiten, wie zum Beispiel in der Befreiungstheologie, deren Vertreterinnen Dorothee Sölle und Luise Schrottroff beide waren. Übersetzt in die heutige Arbeitswelt könnten solche befreiungstheologischen Ansätze berufstätigen Menschen helfen, sich von manchen überzogenen beruflichen Ansprüchen zu befreien.

Arbeit & Gesundheit: Impulse aus der jüdisch-christlichen Tradition (1) – Die Arbeit gehört zum Menschen wie zum Vogel das Fliegen

In mehreren Blogartikeln werde ich nun das Thema Arbeit und Gesundheit aus der Perspektive einiger religiöser Traditionen dieser Welt beleuchten, zuerst aus der Perspektive der jüdisch-christlichen Tradition. Es geht dabei um das Thema Sinn der Arbeit, aber auch um konkrete Hinweise zur Strukturierung und Gestaltung des Arbeitsalltags sowie um das Verhältnis der Arbeit zu anderen Lebensbereichen und zur sozialen und natürlichen Umwelt. Der Hintergrund dieser Reihe ist, dass mir in meinem Studium der Religionswissenschaft sowie in meiner Arbeit im Bereich Gesundheitsförderung immer klarer geworden ist, dass religiöse Traditionen oft auch wertvolle Impulse vermitteln für die Gestaltung eines gesunden Arbeitslebens. 

Die Ruhe am siebten Tag:  das Arbeitsleben zeitlich gestalten mit dem Sabbathsprinzip  

In der christlichen Theologie verdient das Thema Arbeit, so der Theologe und Pädagoge Friedrich Kiss, aus folgenden Gründen einen zentralen Platz: ‚Die Arbeit hat ihren Ort in der Mitte des menschlichen Lebens und an seinen Rändern. Wo Menschen sind, sind sie umgeben von dem umfassenden Arbeitsprozeß, der die Geschichte ihrer Gattung begleitet, besser: der die Geschichte ihrer Gattung trägt. Auch wo sie selbst nicht arbeiten, auch im Schlafe, im Urlaub, auf dem Krankenbett, beim Frühschoppen sind sie eingeschlossen von der Geschichte der menschlichen Arbeit. Die Strukturen der menschlichen Gesellschaft wie der menschlichen Psyche sind entscheidend durch Arbeitsverhältnisse und Arbeitsergebnisse in ihren aktuellen und überdauernden Mustern bestimmt‘ (Kiss 1983:15).

Ein ganz konkreter, vielen Menschen eigentlich sehr vertrauter Impuls zur Strukturierung des Arbeitsalltags ist das jüdische Sabbathsprinzip, das beinhaltet, das jede Tätigkeit auch immer wieder Phasen der Ruhe braucht. Im Christentum manifestiert dieses Prinzip sich in der Sonntagsruhe, für die sich die Evangelische Kirche Deutschland oder auch die European Sunday Alliance aktiv einsetzt (siehe Video). Ein typische Anregung zu diesem Thema in einem Coaching oder Seminar wäre: Was bedeutet mir das Sabbathsprinzip und wie könnte ich es – auch unabhängig von meiner religiösen Überzeugung – in meinem Privat- und Berufsleben einsetzen, um meine Gesundheit zu fördern?

Sinn der Arbeit: Was die biblischen Schöpfungsgeschichten dazu sagen

Das Bibelbuch Genesis versucht nicht nur zu erklären, wie die Welt entstanden ist, sondern auch, warum Menschen auf Erde arbeiten müssen. Der Theologe Ansgar Kreutzer sieht  in ‚Arbeit ist das halbe Leben – Zum Verhältnis von Arbeit und Lebenswelt‘ in den Schöpfungsmythen der Bibel eine sehr ambivalente Wertung der Arbeit. In beiden Schöpfungsberichten bekommen die Menschen von Gott eine herausragende Rolle über alle irdischen Lebewesen zugeteilt: ‚Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde und macht sie euch untertan‘ (Genesis 1,28). Die Aufgabe, über die Erde zu ‚herrschen‘ (oder auch sie zu ‚behüten‘) und die damit verbundene Autonomie machen laut Kreutzer teils auch die Würde der Menschen aus. Sie bleiben ihrem Schöpfergott aber Verantwortung schuldig. Die dunkle, mühselige Seite der Arbeit macht sich dann bemerkbar, wenn Eva vom Baum der Erkenntnis isst, und damit die Bürde harter Arbeit über die Menschen abruft: Von nun an muss er ‚im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen‘ (Gen 3,19). Damit ist das ambivalente Verhältnis der Menschen zu ihrer Arbeit erst einmal erklärlich: ‚Arbeit ist so im biblischen Gesamtkontext und seiner theologischen Ausdeutung Mühsal und würdevoller Auftrag zugleich‘ (Kreutzer 2001). 

Die Erschaffung Adams – Michelangelo

Anselm Grün und Friedrich Assländer formulieren in ‚Spirituell arbeiten. Dem Beruf neuen Sinn geben‘ folgendes Verständnis von Arbeit: ‚Arbeit dient der individuellen wie kollektiven Existenzsicherung des Menschen und ist gleichzeitig Daseinsgestaltung. Durch Arbeit verändert und gestaltet der Mensch die Natur, die Gesellschaft, sich selbst sowie das eigene und kollektive Bewusstsein. Ein spirituelles Verständnis von Arbeit sieht jedes bewusste, körperliche, geistige oder seelisch-emotionale Tun des Menschen als schöpferischen und zielgerichteten Prozess, in dem wir unser Menschsein verwirklichen‘ (Grün u. Assländer 2010:12). In diesem Arbeitsverständnis spiegelt sich die Auffassung von Arbeit als ein transzendentes Geschehen, in dem über den Broterwerb hinaus Einfluss auf die Umwelt genommen wird und Arbeit zugleich eine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, zur Arbeit an sich selbst beinhaltet. Diese Auffassung fusst, so Assländer und Grün, in einer Theologie der Arbeit, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom französischen Theologen M. D. Chenu entwickelt und anschließend vom II. Vatikanischen Konzil übernommen wurde, und die Grün eine ‚Philosophie der irdischen Wirklichkeit‘ nennt (Grün u. Assländer 2010). Arbeit sei die ‚Ursprungssituation des Menschen‘, so Grün, und bewirke die ‚Vervollkommnung der Welt‘.

Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies – Michelangelo

Die alltägliche Arbeit als Dienst an Gott und am Nächsten Das II. Vatikanische Konzil versteht die beiden biblischen Schöpfungsberichte in der Enzyklika Gaudium et Spes (Kapitel 3: ‚Das menschliche Schaffen in der Welt‘) folgendermaßen: ‚Der nach Gottes Bild geschaffene Mensch hat ja den Auftrag erhalten, sich die Erde mit allem, was zu ihr gehört, zu unterwerfen, die Welt in Gerechtigkeit und Heiligkeit zu regieren und durch die Anerkennung Gottes als des Schöpfers aller Dinge sich selbst und die Gesamtheit der Wirklichkeit auf Gott hinzuordnen, so daß alles dem Menschen unterworfen und Gottes Name wunderbar sei auf der ganzen Erde (Nr. 34). Bezogen auf die Arbeit im Alltag heißt dies nach der Enzyiklika: ‚Das gilt auch für das gewöhnliche alltägliche Tun; denn Männer und Frauen, die, etwa beim Erwerb des Lebensunterhalts für sich und ihre Familie, ihre Tätigkeit so ausüben, daß sie ein entsprechender Dienst für die Gemeinschaft ist, dürfen überzeugt sein, daß sie durch ihre Arbeit das Werk des Schöpfers weiterentwickeln, daß sie für die Wohlfahrt ihrer Brüder sorgen und durch ihre persönliche Bemühung zur geschichtlichen Erfüllung des göttlichen Plans beitragen.‘ Arbeit ist in der christlichen Theologie also eine besondere Aufgabe der Menschen, die sie in Beziehung zu Gott bringt und dieser Beziehung auch gerecht werden sollte. Dazu gehören nach dem ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland Wolfgang Huber nicht nur Erwerbsarbeit, sondern auch erzieherische und ehrenamtliche Aufgaben: ‚Nur in einem so erweiterten Arbeitsverständnis bleibt eine Aussage richtig, die sich in gleicher Weise bei Martin Luther und bei Papst Johannes Paul II. findet und die deshalb vielleicht als Ausgangspunkt für ein ökumenisches Arbeitsverständnis dienen kann: “Die Arbeit gehört zum Menschen wie zum Vogel das Fliegen.‘ (Wittenberger Sonntagsvorlesung 2007) Weiterlesen: Arbeit & Gesundheit: Impulse aus der jüdisch-christlichen Tradition (2) – Mit Verbindlichkeit (aber in Freiheit) arbeiten an der werdenden Erde

Gute Arbeit, gutes Miteinander – Kommunikation am Arbeitsplatz von Feedback bis Mobbing (1)

Stress mit Kollegen und Vorgesetzten ist in meinen Coachings und Seminaren oft ein Thema. Damit einhergehende Gefühle sind Ärger, Frust, Wut und auch Ohnmacht, weil man unliebsamen Mitmenschen auf der Arbeit nicht so leicht aus dem Weg gehen kann. Ob man möchte oder nicht, sie sind nun mal da, und irgendwie muss man mit ihnen klarkommen. Das Thema dieses Blogartikels ist, warum ein gutes Miteinander so wichtig ist auf der Arbeit und wie sich ’normale‘ Konflikte von Mobbing unterscheiden. Außerdem stelle ich ein Frühwarnsystem zur Erkennung von Mobbing in Organisationen, sowie ein hilfreiches Modell zur Analyse zwischenmenschlicher Kommunikation vor. Auch finden Sie Verweise auf weiterführende Handlungshilfen.

Menschen sind soziale Lebewesen, auch auf ihrer Arbeit

Ungelöste, schwelende Konflikte sind umso schlimmer, weil die Gelegenheit zu Kontakten und Gemeinschaft sowie das menschliche Sicherheitsbedürfnis für viele Menschen wichtige Bedeutungen von Arbeit sind. Die soziale Unterstützung, die Menschen auf ihrer Arbeit erfahren können, gilt als wichtige psychosoziale Ressource und Gesundheitsfaktor. Damit einher geht, dass man eine Botschaft empfängt, die das Gefühl verleiht, ‚beachtet und geliebt, geschätzt zu werden und ein wertvoller Mensch zu sein‘ (Aronson et al. 1983:144). 

Menschen sind auch auf ihrer Arbeit zutiefst soziale Lebewesen, denn der ‚Kern aller Motivation ist, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung oder Zuneigung zu finden und zu geben‘ und ‚die stärkste Droge für den Menschen sind andere Menschen‘, so der Arzt und Psychotherapeut Joachim Bauer in seinem Buch Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Besonders wichtige Stoffe die sich bei einem vertrauensvollen menschlichen Miteinander freisetzen, sind Dopamin, das ein Gefühl von Wohlbefinden erzeugt und den Organismus psychisch und physisch in einen Zustand der Konzentration und Handlungsbereitschaft bringt, und das Bindungshormon Oxytocin.

Mobbing: systematische Gesundheitsgefährdung am Arbeitsplatz

Zwischen guter und schlechter Kommunikation gibt es viele Gratwanderungen, und in jeder (privaten oder beruflichen) Beziehung klappt die Verständigung mal bessser und mal schlechter. Als Ernstfall nicht-gelungener Kommunikation (insbesondere Konfliktbewältigung) gilt das sogenannte Mobbing, dass folgendermaßen definiert werden kann (aber nicht muss):

‚Unter Mobbing ist wiederholtes, unangemessenes Verhalten gegenüber einem Beschäftigten oder einer Gruppe von Beschäftigten zu verstehen, das Gesundheits- und Sicherheitsrisiken hervorruft.‘ (Mobbing-Factsheet der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz)

Als ‚unangemessenes Verhalten‘ wird in der oben genannten EU-Broschüre jedes Verhalten bezeichnet, das von vernünftig reagierenden Menschen unter Beachtung aller Umstände als Unterdrückung, Demütigung, oder Bedrohung verstanden wird. Als ‚Verhalten‘ gelten in dieser Definition Handlungen von Einzelpersonen, Gruppen oder auch Arbeitsorganisationen, besonders wenn diese Handlungen eingesetzt werden, um eine unterdrückende, demütigende, zerstörerische oder bedrohende Wirkung zu erreichen. Mit ‚Gesundheits- und Sicherheitsrisiken‘ ist eine Gefährdung der geistigen oder körperlichen Gesundheit der Betroffenen gemeint. Nach dem Mobbing-Factsheet gelten ungleiche Beziehungen als Risikofaktor, denn ‚Mobbing vollzieht sich häufig in Verbindung mit einem Missbrauch von Macht bei dem die Opfer Schwierigkeiten haben, sich zu wehren.‘ Das Präventionsheft Stress, Mobbing & Co. der Unfallkasse NRW unterscheidet 4 Phasen im Mobbingprozess, in dem ungeklärte Konflikte immer mehr auf der persönlichen statt der sachlichen Ebene ausgetragen werden und sich schließlich nach und nach systematische Übergriffe auf eine bestimmte Person (oder Personengruppe) nach folgendem Muster herauskristallisieren: > Unzureichende Konfliktbearbeitung > Feindseligkeiten > Rechts- und Machtübergriffe > Ausschluss aus der Arbeitswelt (Mobbing-Verlaufsmodell nach Leymann). Dabei kommt das gesamte gesundheitliche Gefüge der Betroffenen ins Wanken, wie folgende Graphik darstellt:
soziale-konflikte-am-arbeitsplatz

Im Laufe des Mobbingprozesses kommt das gesamte gesundheitliche Gefüge der Betroffenen ins Wanken (Quelle: Soziale Konflikte am Arbeitsplatz. Verstehen, handeln, helfen. MAIS NRW)

Konflikten & Mobbing auf die Spur: Indikatoren zur Ermittlung von Krisenherden 

Die Handlungshilfe für Führungskräfte ‚Konfliktlösung am Arbeitsplatz. Analysen, Handlungsmöglichkeiten, Prävention bei Konflikten und Mobbing‚ (Meschkutat u. Stackelbeck 2010) enthält ein sogenanntes (Früh)-Warnsystem zur Ermittlung von Krisenherden mit Mobbingpotential. Das System versteht Mobbing als Prozess mit folgenden möglichen Indikatoren: 

  1. Fehlzeiten und Fluktuation (z.B. erhöhte Krankmeldungen, Kündigungen usw.)
  2. Entwicklung der Produktivität und Qualität der Produkte und Dienstleistungen (insgesamt oder auch einzelner Mitarbeiter, vermehrte Kundenbeschwerden)
  3. Veränderungen in der Leistungsbereitschaft und in der Arbeitshaltung der Mitarbeiter (erhöhte Widerstände, sinkendes Engagement, Lustlosigkeit, Kreativitätsverlust, bewusstes Nicht-Auffallen)
  4. Veränderungen in der Zusammenarbeit (abnehmende Hilfsbereitschaft und gegenseitige Unterstützung, härterer Umgangston, gegenseitige Fehlerfahndung, destruktive Kritik)
  5. Veränderungen im Sozialverhalten der Mitarbeiter (unsachliche Diskussionen, Schuldzuweisungen, abfällige Bemerkungen, Streitereien, Gerüchte, Intrigen, Kollegen verstummen, ziehen sich zurück)
  6. Veränderungen im Verhalten gegenüber einer bestimmten Person (eine Person wird häufig, systematisch gemieden, nicht informiert, lächerlich gemacht, für Fehler verantwortlich gemacht, schlecht gemacht)
  7. Veränderungen im Verhalten einer bestimmten Person (schlechte Laune, Unfreundlichkeit, wirkt zunehmend gestresst. verunsichert, ängstlich, schweigt und zieht sich zurück).
Besonders Führungskräfte, aber auch Kollegen untereinander können aufgrund dieser Indikatoren eher erkennen, ob in der Organisation, im Team oder in einzelnen kollegialen Beziehungen etwas im Argen liegt. Die Schaffung und Bewahrung eines gute Arbeitsklimas ist eine wichtige Aufgabe von Führungspersonen auf allen Ebenen einer Organisation, aber alle Mitarbeitende können im Arbeitsalltag dazu beitragen, indem sie nacheinander schauen, Konflikte erkennen und offen ansprechen. Möglichkeiten dazu sind zum Beispiel Gespräche mit Kollegen und Leitung, Teamsitzungen oder Supervisionen. Weiterlesen: Offen Kommunizieren, Konflikte klären, Hilfe heranziehen

Gute Arbeit, gutes Miteinander – Kommunikation am Arbeitsplatz von Feedback bis Mobbing (2)

Oftmals verbergen sich hinter persönlichen Konflikten zwischen Kollegen und/oder Vorgesetzten strukturelle Probleme des Unternehmens, zum Beispiel durch unklare Organisation oder Zuständigkeiten, häufige Personalwechsel oder generelle Unruhe/Unfriede. Diese sollten natürlich seitens der Führung auf den Grund gegangen werden. Dennoch lohnt es sich für Beteiligte an Konflikten immer auch, eventuelle eigene Anteile am Konfliktgeschehen zu betrachten. Beispiele von Ursachen & Hintergründe auf der persönlichen Ebene für Konflikte mit Eskalations- und Mobbingpotenzial sind laut Meschkutat u. Stackelbeck eine unterschiedliche Einstellung zur Arbeit (Detailverliebter <> Pragmatikerin, Streber <> Minimalistin, Schnelldenkerin <> Langsamdenker), ein unterschiedlicher Umgang mit Veränderungen (Bewahrer <> Erneuerer, Kreativer Inputgeber <> Störer bewährter Strukturen) oder auch unterschiedliche Enge der Zusammenarbeit (Einzelkämpfer <> Teamplayerin). Wenn Kollegen sich ihrer unterschiedlicher Veranlagung bewusst sind, ist schon viel gewonnen. Eine Möglichkeit damit umzugehen, ist ein humorvolles Schmunzeln über die eigenen Veranlagungen (und kleinen Macken) und die der Kollegen. Daneben ist es wichtig, offen über unterschiedliche Arbeitsweisen und Einstellungen zu kommunizieren. 

Kommunikation ist alles: offen miteinander reden und einander zuhören

Wir sind wie eingesponnen in Kommunikation und man kann nicht nicht kommunizieren, war die Erkenntnis des Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick. Ein verbreitetes Modell zur Analyse zwischenmenschlicher Kommunikation ist das 4-Seiten-Modell von Schulz von Thun

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Hilfe zur Analyse zwischenmenschlicher Kommunikation: Das 4-Seiten-Modell von Schulz von Thun

Ein Ziel dieses Modells ist est, zwischenmenschliche Kommunikation zu beobachten, zu beschreiben und zu modellieren. Nach Schulz von Thun können menschliche Äußerungen aus vier verschiedenen Richtungen angesehen und unter vier verschiedenen Annahmen gedeutet werden – diese Ebenen sind in diesem Modell die Seiten einer Nachricht:
  1. Auf die Sache bezogen: die beschriebene Sache („Sachinhalt“, „Worüber ich informiere“)
  2. Auf den Sprecher bezogen: dasjenige, was anhand der Nachricht über den Sprecher deutlich wird („Selbstoffenbarung“, „Was ich von mir selbst kundgebe“)
  3. Auf die Beziehung bezogen: was an der Art der Nachricht über die Beziehung offenbart wird („Beziehung“, „Was ich von dir halte oder wie wir zueinander stehen“)
  4. Auf die beabsichtigte Wirkung bezogen: dasjenige, zu dem der Empfänger veranlasst werden soll („Appell“, „Wozu ich dich veranlassen möchte“)
Missverständnisse und Konflikte entstehen, wenn Sender und Empfänger die vier Ebenen unterschiedlich deuten und gewichten. Es ist oft allerdings nicht einfach zu bestimmen, was normale Meinungsverschiedenheiten sind, Kommunikationsstörungen, Wahrnehmungsverzerrungen oder wann Konflikte schon in Mobbing ausgeartet sind. Denn nach dem obigen Modell nehmen Menschen Nachrichten eben mit 4 unterschiedlichen Ohren wahr. Mögliche Fragen in einem klärenden Gespräch mit Betroffenen könnten sein: Was genau ist das beobachtete Verhalten? Was ist seine/ihre Bedeutungszuschreibung des Verhaltens? Wie sehen das andere? Wie würden die das einschätzen? Was ist in der bisherigen Kommunikation schief gelaufen? Was ist die Perspektive des Mobbers? (siehe B. Migge, Handbuch Coaching & Beratung).

Konflikte frühzeitig klären und Hilfe heranziehen

Konflikte oder Mobbing am Arbeitsplatz müssen nicht zwangsläufig mit einem selbst zu tun haben. Manchmal verhalten Kollegen oder Vorgesetzte sich wirklich nicht angemessen, und es ist wichtig, sich in solchen Fällen mit allen Beteiligten zusammen zu setzen und sich eventuell auch externe Hilfe zu holen bei der Klärung zwischenmenschlicher Unstimmigkeiten (egal of beruflicher oder privater Art). Dennoch lohnt es sich oft auch, eigene Anteile am Konfliktgeschehen anzuschauen, schon alleine deshalb, weil dies einen etwas aus der Ohnmacht befreien kann. Außerdem schärft sich dadurch die persönliche Kommunikations- und Konfliktlösungskompetenz, die jeder Mensch in vielen beruflichen und privaten Lebenslagen immer wieder gut gebrauchen kann.

Handlungshilfe für Betroffene: Hilfe gegen Mobbing am Arbeitsplatz – So beenden Sie das Mobbing jetzt! (Initiative Neue Qualität der Arbeit)